Straubinger Tablatt, 16.07.2011, von Monika Schneider-Stranninger
In der Agnes-Bernauer-Festspielküche verderben viele Köche nicht den Brei Warum Kartoffeln und Tomaten tabu sind und ein Fasan als Auerhahn daherkommt
Kartoffeln und Tomaten sind in der herzoglichen Küche tabu. Logisch, denn die gab es – von den Eroberern aus Süd- und Mittelamerika mitgebracht – erst 200 Jahre nachdem Agnes Bernauer in den Fluten der Donau gemeuchelt worden ist. Dafür kredenzen Hofkoch, -köchin und ein Heer von Küchenmägden und -jungen im Ratssaal zu München erlesene Tafelfreuden für den anspruchsvollen Adelsgaumen: „A stuckara 300 Haxn“, Huchen, Krebse, fette Brachsen, Wachtlbrüsterl, gefüllten Auerhahn… Serviert wird all das und noch viel mehr in Bild 4 des Agnes-Bernauer-Festspiels und rund 20 Straubinger formieren sich zur Küchenbrigade. Sie lieben ihre Rollen, dekorieren vor jeder Vorstellung appetitlich Platten, Schüsseln und Körbe und halten die Illusion kulinarischer Opulenz mittels Tierpräparaten, Plastikfischen und echten Schweinshaxn aufrecht.
Die echten Schweinshaxn sind natürlich nicht alle 19 Aufführungen ein und dieselben. Und wenn ihnen der natürliche Verfall nicht den Garaus machte, der viele Regen tut es bestimmt. „Eine knappe Woche halten sie als Requisite“, erzählt Küchenmagd Carla Waldenfels, die die Haxn nicht nur auf einem Tablett jonglieren, sondern sie zwischen den Aufführungstagen im Kühlschrank auch konservieren muss. Beides fällt ihr nicht leicht, denn sie ist überzeugte Veganerin, sprich sie isst überhaupt keine tierischen Produkte. Aber was tut man nicht alles für eine Sprechrolle und noch dazu für die Adelung als Schlossküchenmagd…
Auch Küchenmeister Peter Petzl, im letzten Festspiel noch ein Ritter und im wirklichen Leben Mitarbeiter im Polizeiverwaltungsamt, geht in seiner Rolle auf. Er steht an vier Abenden die Woche in weißer Küchenmontur samt Kochmütze auf der Bühne und lässt sich nach Textbuch unverblümt und in breitem Dialekt über adlige Gier aus – Originalzitat „Bluad, de haun se d’ Wampn voll!! Sovui kamma gar ned fressn!“. Die Küchenmägde und -jungen pflichten ihm bei und machen große Augen, denn sie würden auch gern mal von Hirschragout, Kalbsfleckal oder Saibling naschen. Aber es ist halt eine „Herrenspeis“ und fürs Volk bleibt nur ’s Kraut.
Keine Stände-Unterschiede
Stände-Unterschiede macht die Festspielküche des Ehepaars Lukas im Wappensaal dagegen nicht. Da genießen Ritter und Hoffräulein, Küchenjungen und Bademägde einträglich nebeneinander gegen Essensmarken Hausmannskost wie Eintopf, Schnitzel oder Wurstsalat. Mundschenk Pascal Wagner bekennt, dass er froh über die Abwechslung zur obligatorischen Leberkässemmel in den Probenwochen ist. – „Da hat mancher eine Allergie entwickelt“, erfährt er kichernd Zustimmung.
Peter Petzl geht, wie es sich für einen Chefkoch gehört, jede Woche tatsächlich auf den Markt. Bei der Gärtnerei Zollner, die sich für dieses spezielle Festspiel-Sponsoring gefunden hat, holt er jede Woche Körbe frischen Grünzeugs. Möhren, Porree, Kraut, Sellerie, Kohlrabi, was gerade Saison hat und vor allem im finsteren Mittelalter schon ein Begriff war, wo man auf jeden Fall noch nicht über Body-Mass-Index und Kalorien sinnierte. Schließlich braucht es zum gefüllten Auerhahn und der fetten Brachsen dekorative Beilagen.
Jahrespensum an Obst
Es macht ihm Spaß, erzählt Petzl, längst mit dem Blick für die Menge, die auf einer Festspielbühne tatsächlich gebraucht wird. Vor allem aber hat er bis zum Ende der Festspielsaison sein persönliches Jahrespensum an Obst erreicht, bekennt er. „Dann habe ich einschließlich der letzten Proben genau 24 Äpfel gegessen“, rechnet er und kann es selber kaum glauben, auch wenn ihm seine Küchenbrigade, die im Stüberl des Wappensaals wieder mal auf das Ende eines Regengusses wartet, motivierend ans Herz legt: „A apple a day keeps the doctor away“. Alles lacht, kein Wunder, denn Hofköchin Eva Wagenlehner kann ganz andere Rekorddimensionen vermelden. „70 Kilo Äpfel habe ich schon bei Aldi gekauft.“ In der Küchenszene beißen nämlich alle Küchenbediensteten in einen nicht etwa sauren Apfel. Der Apfelbiss ist Regieanweisung. Genauso wie die Instruktion „ziellos, planlos“ von Regisseur Johannes Reitmeier für die logistischen Vorbereitungen des herrschaftlichen Gelages. Seitdem, so Küchenjunge Dominik Nowak, mimt die Truppe gezielt und geplant „ziellos und planlos“. Die Illusion von Chaos ist täuschend echt, jeder Schritt durchchoreographiert. „Johannes Reitmeier merkt sofort, wenn auch nur einer von uns falsch steht“, erzählt Carla Waldenfels anerkennend.
Lauter tragende Rollen
Alle Küchenmägde und -jungen haben tragende Rollen, das können sie mit Fug und Recht behaupten, denn jeder trägt zumindest eine Platte, Schüssel, einen Korb oder wenigstens Kochlöffel über die Bühne. Mit täuschend echten Plastikgrillhendl und -enten und Kunststoffhechten und -karpfen. Einen präparierten Fasan, der als Kuriosum zum Festspiel-Fundus gehört, verkauft Küchenmagd Marille Dietrich dem Publikum erfolgreich als gefüllten Auerhahn. Letztes Mal war sie noch Hofköchin, erzählt sie lachend. „Jetzt bin ich zur Puffmutter degradiert“, das müsse sie sich zumindest von ihren Schauspielkollegen anhören. Marille Dietrich steht nämlich 2011 hauptsächlich als Baderin auf der Bühne, die Küchenmagd gibt sie nebenbei, so wie viele zwei Rollen spielen. Küchenjunge Dominik Nowak schlüpft zum Beispiel noch in das Kostüm eines adligen Junkers. Mit Küche haben die Akteure allenfalls hobbymäßig etwas am Hut. Mundschenk Pascal Wagner ist im richtigen Leben Lehrer, Hofköchin Eva Wagenlehner Gärtnerin, Küchenmagd Sabrina Kraus ist angehende technische Zeichnerin, Dominik Nowak lernt bei der Bundeswehr Verwaltung, Dominik Hobmeier und Dominik Prasch gehen zur Schule. Unter Kochmützen und Küchenkopftüchern verschwinden Justin-Bieber-Mähnen und Rasterzöpfe. Viele haben klein angefangen, Pascal Wagner als Fünftklässler als Page, Eva Wagenlehner war schon dreimal Wirtin und einmal Küchenmagd.
Die Schlossküche hat Anziehungskraft und willkommene Nebenwirkungen: „Wahrscheinlich sind die vielen Vitamine der Grund, warum wir trotz Erkältungswetter noch keinen Ausfall hatten“, meint Eva Wagenlehner. Nur ihre papiererne Zutatenliste, aus der sie auf der Bühne zitiert, hat es ihr schon „weggeregnet“.