Das Gesetz der Serie

Dienstag, 2. Juli 2019

Das Gesetz der Serie

Andreas Ramelow (18) spielt zum fünften (!) Mal bei den Agnes-Bernauer-Festspielen mit

„Der Henker kommt wieder.“ Das hat Andreas Ramelow am Rande der Festspiele 2015 im Tagblatt-Interview prognostiziert, weil die Präsenz des Henkers das schauerliche Ende der Agnes umso deutlicher macht. 2015 war der Henker als Person nicht auf der Bühne zu sehen. Diesmal ist er es wieder – und wie! Er schildert dem Volk genüsslich die Hinrichtungsarten, die er aus dem Effeff beherrscht. Andreas Ramelows damalige Prognose ist eingetroffen. Nicht verwunderlich, schließlich gehört er zu den Festspielerfahrenen im Ensemble. Das Verblüffende ist vielmehr, dass er mit 18 Jahren schon zum fünften Mal mitspielt.

Als Zweieinhalbjähriger hat er sein Debüt gegeben, an der Seite seiner Mutter Ingrid, als Kind aus dem Volk. Damals in einem von der Oma genähten „Hängerchen“ und ebenso selbstgebastelten Schuhen, weil es so kleine Gewänder gar nicht gab. Seine Mutter ist um die Erfahrung eines weiteren Festspiels reicher, 1999. Da hat es ihn noch nicht gegeben. Sie hatte wegen des kleinen Kindes gar nicht damit gerechnet, mitspielen zu können, aber der Verein hat sie ermutigt, das Kind doch einfach mitzubringen.

Freundschaft mit dem Henker

Damals muss der Festspielfunke auf Andreas übergesprungen sein. Nur zweieinhalb Jahre alt, verhielt er sich wie ein Routinier auf der Bühne, knabberte eine Möhre oder einen Apfel und schaute sich den Trubel um ihn herum ganz gelassen an. Mehr noch: Er knüpfte erste Freundschaftsbande mit dem damaligen Henker, Walter Wagner. Er hat sich nie vor dem Mann mit der Maske gefürchtet. Im Gegenteil, er konnte sich gut vorstellen, selber in die Henkerrolle zu schlüpfen, wenn er groß genug wäre. Der Henker hat dem kleinen Andreas dann und wann ein Überraschungsei zugesteckt. Überraschungseiern ist Andreas längst entwachsen. Mit Walter Wagner verbindet ihn aber immer noch eine Festspielfreundschaft. Umso mehr freut ihn, dass Wagner bei den Festspielen 2019 unter anderem einen Kerkeraufseher spielt, der ausgerechnet Andreas als Gefangenen in Schach halten muss.

Junker und im Umbautrupp

„Das Schönste ist das Verbeugen und der Applaus“ hat Andreas beim Interview als Sechsjähriger erzählt. Logisch, dass er schon damals mit seiner Mutter bis zum Schlussapplaus geblieben ist. 2015 hat er einen Junker in der Stastisterie gespielt und nebenbei beim Umbautrupp kräftig mitangepackt. Montags und donnerstags, an den Morgen nach den Aufführungen ist ihn das Aufstehen zur Schule – achte Klasse am Ludwigsgymnasium – mitunter hart angekommen. Aber was tut man nicht alles.

Das Festspiel 2019 hatte Andreas damals schon im Auge. Ein Junker mit Sprecheinsatz sollte es schon werden, hatte er angepeilt. Jetzt steht der angehende Fachinformatiker für Systemintegration im aktuellen Programmheft als „Erster Bauer, zweite Männerstimme, Badegast, Bediensteter am Hof, Knappe und Gefangener.“ Also deutlich mehr als ein Junker. Andreas ist zufrieden. Und Sprecheinsätze hat er auch – gleich mehrere. Der umfangreichste – ein Dialog mit einem anderen Bauern am Rande der Schlacht von Alling – ist in letzter Minute dem Rotstift des Regisseurs zum Opfer gefallen, um die Länge des Stücks in Griff zu bekommen, bedauert er, hat aber Verständnis.

In elf Festspiel-Szenen auf der Bühne präsent

Andreas ist in elf von 30 Szenen präsent. Er muss siebenmal sein Gewand wechseln. Und von Anfang an bis Szene 22 trägt er ein Headset, das er dann an einen anderen Spieler weiterreicht. Das alles ist eine Herausforderung. Vor dem Wappensaal unter der Zuschauertribüne hat er dafür sein Logistik-Lager aufgebaut. Auch für die Requisiten muss jeder vor allem selber sorgen. In seinem Fall eine Mistgabel für die Schlacht von Alling, einen Besen, mehrere Becher sowie Weintrauben und Gebäck, die er als Hof-Bediensteter dem Herzog zu kredenzen hat. Es gibt allerdings Netz und doppelten Boden durch zwei Inspizientinnen.

Die Probenarbeit war anspruchsvoll, allemal weil Andreas täglich per Zug zu seiner Arbeitsstelle fährt und abends wieder heim. Dann weiter zu den Proben in den Schlosshof. Er absolviert seine Ausbildung im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Regensburg und peilt im November die Abschlussprüfung an – dank Lehrzeitverkürzung.

In vier Jahren vielleicht vom Knappen zum Ritter?

In vier Jahren, das hat er sich vorgenommen, will er wieder dabei sein. Dann ist er 22. „Vielleicht ist der Aufstieg vom Knappen zum Ritter drin“, spekuliert er. Und in acht Jahren… womöglich noch ein bisschen mehr. Wenn ich groß bin, werde ich der Henker. Auch das ist nicht ganz vom Tisch für Andreas…wie gesagt, er hält ihn für ein wichtiges dramaturgisches Element, 2019 verstärkt nicht nur durch die Bernauerin, die das Publikum erstmals als Tote zu Gesicht bekommt, sondern das Untertauchen mit langer Stange und die Selbstzweifel des Mannes, der sie ins Jenseits befördert. „Diese Figur ist nur noch interessanter geworden“, sagt er. Am meisten motiviert ihn allerdings die Gemeinschaft in einem so großen Ensemble. Es gefällt ihm – wie immer und angesichts des neuen Stücks doch ganz anders. Er hat schon einige positive Publikumsresonanz erfahren, insbesondere über die breite Bühne, das offenere Bühnenbild und mehr Individualität der Charaktere. Und nach den ersten Aufführungen kehrt wohltuende Routine ein. Er weiß inzwischen auch, dass er mit vier bis fünf Litern Wasser, parat in einer Kühltasche, für die Tropenatmosphäre eines Festspielabends angemessen ausgerüstet ist.

Andreas ist fest entschlossen, das Gesetz der Serie fortzusetzen. Wir haben uns schon mal vorsorglich verabredet für 2023 zum Interview anlässlich seiner sechsten Festspielteilnahme in Folge.

Quelle: Straubinger Tagblatt, Ulli Scharrer

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