Er hat zeit seines Lebens Theater gemacht. Auf der Bühne. Aber nie um sich selbst. Der Straubinger Alfred Jurgasch. Am Dienstag ist er gestorben, nur 62-jährig.
Er musste sich nie inszenieren, er hatte Stil. In jeder Hinsicht. Markenzeichen – die Fliege. Er machte auch im Frack eine glänzende Figur, alljährlich mit Leidenschaft bei der Bruder-Straubinger-Redoute.
Im Brotberuf war er Pharmazeutisch-technischer Assistent. Auch das mit 100-prozentigem Engagement, seit vielen Jahren im Team der Apotheke des Gäubodenparks, wo er dann und wann damit kokettierte, dort schon länger zu arbeiten als sein heutiger Chef.
Seine Welt war aber das Theater. So hat ihn seine Frau Ulrike kennengelernt und ist mit ihm und seiner Theater-Leidenschaft durchs Leben gegangen. Er auf und hinter der Bühne, sie im Publikum.
Er war Spielleiter der Agnes-Bernauer-Festspiele 2015, was er als große Ehre empfand. Eine Herausforderung, die er mit eigener künstlerischer Handschrift bravourös gemeistert hat. Bei der Volksbühne gab er 2016 herrlich schrullig den Major in der Boulevard-Komödie „Pension Schöller“ und staatsmännisch unnahbar noch im März 2018 den Julius Cäsar in Shakespeares Römerdramen von Theater ImPuls. Er prägte 19 Jahre lang die Laienschauspielgruppe in der JVA. Fast die Hälfte ihres 40-jährigen Bestehens.
Und er hat damals, in den achtziger Jahren, mit der Theatergruppe Schambach Laientheater zu bis dahin nicht gängigem Standard geführt. Er hat dort Theater gemacht mit Ecken und Kanten, „das seine Themen nicht im Windkanal des Publikumsgeschmacks prüft und das, wenn es sein muss, aufregen, aufrütteln und ärgern will“. Mit „Jagdszenen in Niederbayern“ ebenso wie mit „Heim“ von Felix Mitterer. Jenseits gefälliger Komödien oder tumber Bauernstücke. 15 Jahre lang.
Vor zwei Jahren hat er – mitten in seinem aktiven prallen Leben – die Diagnose Krebs erhalten. Ein besonders fieser Krebs. Zwei Jahre hat er gekämpft, gehofft und der Krankheit mit beeindruckender Willenskraft manches abgewonnen, manches abgetrotzt. Auf der Bühne. Und in der Familie. Er hat die Hochzeit einer seiner beiden Töchter in Dänemark und die Geburt des jüngsten der zwei Enkel noch miterlebt. Sein Traum wäre gewesen, die auch von ihm mit so viel Herzblut betriebene Neuinszenierung der Agnes-Bernauer-Festspiele 2019 von Andreas Wiedermann im Schlosshof noch zu sehen. Eine zu große Etappe.
Im Sommer 2017 hat er im Hof des Herzogschlosses im „Bayerischen Jedermann“ des Agnes-Bernauer-Festspielvereins den Tod gespielt – ausgerechnet. Oder – jetzt erst recht. Schauspielerische Gänsehautmomente, auch für jene, die von seiner Erkrankung nichts wussten. Hinter den Kulissen gab es eine Zweitbesetzung, für alle Fälle. Sie kam nicht zum Einsatz. Er brauchte sie nicht.
Heuer im Frühjahr hat er mit der Laienschauspielgruppe der JVA den „Boandlkramerblues“ in Szene gesetzt. Wieder der Tod im Spiel. Aber im sehr schrägen komödiantischen Gewand. Es war seine 17. Inszenierung hinter Gittern. Die 18. hat er in den vergangenen Monaten noch auf den Weg gebracht. Von September bis Mai, immer Dienstag und Donnerstag nach Feierabend, hat er mit den Gefangenen in der JVA geprobt und die jeweils komplette Inszenierung erarbeitet, inklusive Kulissen, Kostüme und Technik. 200 Stunden ehrenamtlich pro Jahr. Für die Gefangenen, die als langstrafig Inhaftierte großteils seit Jahren zum Ensemble gehören, war „der Fred“ mehr als nur der Regisseur. Er war Wegbegleiter, eine anerkannte Instanz, eine Vertrauensperson. Einer, der nicht zuerst nach der Tat fragte. Der eigentlich aus Prinzip gar nicht danach fragte. Weil es ihm um etwas anderes ging. Es freute ihn, dass er mit seiner künstlerischen Arbeit Menschen positiv beeinflussen konnte, die von der Gesellschaft nur als Schwerverbrecher wahrgenommen werden. Sein soziales und künstlerisches Engagement, sein Beitrag zur Resozialisierung wurde 2008 mit einer Einladung zum Neujahrsempfang des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue gewürdigt. 2016 hat ihn auch der damalige bayerische Justizminister Winfried Bausback geehrt.
Sechs Jahre lang, von 2012 bis 2018, war Alfred Jurgasch stellvertretender Vorsitzender des Agnes-Bernauer-Festspielvereins. Im Mai trat er zurück, seiner Erkrankung geschuldet. Von November 2016 bis Juni 2017 führte er die Geschäfte des Vereins, nachdem der Posten des Vorsitzenden mehrere Monate vakant geblieben war, als Dr. Hubert Fischer lange geplant nicht mehr zur Wahl antrat und ehe Karl Weber in dessen Fußstapfen trat. Dem Verein hinterlässt Alfred Jurgasch ein bleibendes Erbe, nämlich die erfolgreiche Bewerbung um den Titel „Immaterielles Kulturerbe in Bayern“. Ein Pfund, mit dem der Festspielverein werbemäßig wuchern kann. Jurgasch hatte diese Möglichkeit entdeckt, sich nicht von den umfangreichen Bewerbungsanforderungen abschrecken lassen. Seine viele Arbeit wurde belohnt. Anfang Juli hat eine Abordnung des Vereins die Auszeichnung bei einem Festakt in Schloss Schleißheim entgegengenommen. Alfred Jurgasch war dabei.
Er wird fehlen – auf und hinter der Bühne. Beim Festspielverein und in der JVA. Und überhaupt als bemerkenswerter Mensch mit Stil und Stehvermögen.
Quelle: Straubinger Tagblatt, 01.12.18, Monika Schneider-Stranninger
