Straubinger Tagblatt: Ein Fest mitreißender Schauspielkunst

Montag, 17. Juli 2017

Straubinger Tagblatt: Ein Fest mitreißender Schauspielkunst

Eigentlich kommt Andreas Wiedermann vom Sprechtheater. Einmal im Jahr macht er Oper in Erding, München und ab und an auch in Straubing. Hat er sich dabei irgendwann einen Musik-Virus eingefangen? Ist deswegen seine Inszenierung des „Jedermann“ so durch und durch musikalisch gelungen? Schon die frei erfundene einleitende Szene war nach allen Regeln des Kontrapunkts gearbeitet. Die ganze weite Breite des Raums unterhalb der Reitertreppe wurde genutzt und mit filigran aufeinander abgestimmten Bewegungen ausgestaltet.

Hofmannsthal: „Was wir besitzen sollten, das besitzt uns, und was das Mittel aller Mittel ist, das Geld, wird uns in dämonischer Verkehrtheit zum Zweck der Zwecke.“ Zitat Anaconda: Dies ist „eines der zentralen Motive des berühmten Jedermann. Seit 1920 ist sein neun Jahre zuvor unter der Regie von Max Reinhardt uraufgeführtes modernes Mysterienspiel fester Bestandteil der Salzburger Festspiele und bezeugt die ungebrochene Aktualität des Stoffs: Jedermann, begütert und selbstgerecht, wird vom Tod vor den Richterstuhl Gottes zitiert. Aller irdischen Reichtümer beraubt, findet er sich von allen Freunden verlassen, nur die allegorischen Gestalten Werke und Glaube können ihn noch vor dem gnadenlosen Griff des Teufels bewahren.

Die berühmte Sarabande d-Moll von Händel eröffnete den Musikreigen. Später gab es das Albinoni-Adagio von Giazotto. Zur Abendmahlsszene am Ende etwas aus Monteverdis Marienvesper und zum szenisch überraschenden Schluss den Kanon von Pachelbel. Beim Auftritt des wunderbar widerlich dargebotenen Mammon wurde Rockmusik eingespielt. Dazwischen immer wieder festliche Bläserklänge. Franz Aichinger begleitete die Gstanzelsänger selbst auf der Laute.

Ein Ambiente, von dem Salzburg nur träumen kann

Vor der Premiere hatte der Regen für frische Luft gesorgt. Während der Aufführung deutete er kurz an, dass er schon noch könnte, wenn er wollte. Er ließ aber die irdischen Aktionen störungsfrei weiterlaufen. Trotzdem hatte es am Ende, gegen 23 Uhr, unsommerliche 13 Grad.

Straubings Schloss hat mit der Reitertreppe und dem weitläufig zu bespielenden Platz davor ein Ambiente, von dem Salzburg, trotz des imposanten Doms, nur träumen kann. Die Jedermann-Rufe und die mahnenden Glocken hatten im Schloss zudem eine intimere Wirkung. Wenn sich das Geschehen von unten nach oben entwickelt. Wenn die seitlichen Treppen nur einseitig oder wie ein Wechselgesang kombiniert bespielt werden. Dann setzt sich die Kontrapunktik in vollendeter Optik in den Raum hinein fort. Bis mittig ganz oben und zu den seitlichen Emporen wurde der Raum vollendet auskomponiert. „Zum Raum wird hier die Zeit“, heißt es in Wagners „Parsifal“, diesem anderen Mysterienspiel. Im Schloss konnte man sagen: Die Zeit entfaltete sich in den Raum hinein.

Authentisch und mit überlegener Wirkkraft

Die 110 Minuten der pausenlosen Aufführung wurden zu einem einzigen großen Spannungsbogen. Die einzelnen Szenen hatten ihren eigenen Atem, ihr eigenes Tempo und ihren eigenen Rhythmus. Die geballte Kraft der feiernden Tischgesellschaft ist dafür ein ideales Beispiel. Die, inmitten des Feierns, durch Jedermann ausgelösten Irritationen und die Reaktionen seiner Gäste und seiner Freundin (Buhlschaft) hatten eine musikalische Intensität durch alle radikalen Stimmungswechsel hindurch und eine stets sich verändernde Rhythmik, welche an die Vielfalt bulgarischer Rhythmen erinnerte.

Kann man von verschiedenen Klangfarben schreiben, wenn man die intimen dialogischen Szenen (Jedermann-Gesell/Freunde, Jedermann-Vettern, Jedermann-Mutter, Jedermann-Tod, Jedermann-Werke, Jedermann-Glaube, Jedermann-Mammon, Teufel-Werke-Glaube) in ihrer farblichen Unterschiedlichkeit auf sich wirken ließ? Das Einzelne entfaltete stets seine ganz eigene Eindringlichkeit. Das Insgesamte wurde davon getragen: authentisch und mit überlegener Wirkkraft. Man konnte direkt spüren, wie gebannt das Publikum diesem Stück folgte.

Was aber wäre die überzeugendste Inszenierung ohne Schauspieler, welche diese auch fulminant lebendig werden lassen. Allen voran Franz Aichinger. Mit seiner energetischen Überzeugungskraft bis hin zum Insichgehen vor dem Tod stellte er diesen vielschichtig angelegten Charakter aufs Großartigste dar. Nicht nur schauspielerisch, sondern auch kräftemäßig fesselte seine fast ständige Anwesenheit, seine vollmundige Direktheit, seine in jeder Hinsicht bravourös ausgespielte Egozentrik.

Bis in die kleinsten Rollen perfekt besetzt

Da die vielen kleineren Rollen ebenfalls perfekt besetzt waren, gab es ein immer wieder wechselndes Gegengewicht zum autoritären Jedermann. Auch dies trug zu einer inneren Balance der Wirkung bei, welche bis zum ungewöhnlichen Schluss hin an Spannung immer mehr sich verdichtend zunahm. Zu nennen sind Alfred Jurgasch als durch und durch nobel gelassener Tod, Denise Winklmaier als famos insistierende Mutter, Michaela Hofmann gefiel als schnellstens jeder Situation sich hingebende agile Buhlschaft, ihrem Jedermann durch jede Stimmung und Missstimmung nachfolgend.

Exzellent war die Idee, den Gesellen in zwei Freunde umzuwandeln. Mammon wurde dreifach gesplittet, die Werke wurden auf fünf Personen, der Glaube auf vier und der Teufel auf drei Personen aufgeteilt. Bei Letzterem kamen noch tüchtig Nebel und Feuerfontänen zum Einsatz. Durch diese Vervielfältigung wurde die Wirkung der von Hofmannsthal einzeln gedachten Personen facettenreicher und plastischer ausformuliert. Einer Tendenz zur Statik wurde damit formidabel entgegengewirkt.

Ungewohnter Schluss mit szenischer Zugabe

Ungewohnt der Schluss. Hofmannsthal lässt es nach dem Tod Jedermanns genug sein. Wiedermann und sein Team ergänzten mit einem Schlussbild, welches sich vom Mystischen zum Lebensbejahenden wandelte. Über Sinn und Zweck dieser szenischen Zugabe darf sich jeder selbst seinen Reim machen. Es gab immer wieder berechtigten Szenenapplaus zwischendurch, der sich am Ende begeisterungsreich emphatisch steigerte.

Insgesamt konnte man eine konzis ausgearbeitete, ständig beeindruckende bis packende bayerische Version mit hochdeutschem Tod erleben. Es gab nicht das den Raum leuchten lassende Feuerwerk beim Fest. Die ganze Aufführung wurde zu einem Fest mitreißender Schauspielkunst in einem dafür idealen Raum und inmitten einer Inszenierung mit Vorbildcharakter. Was soll man da noch nach Salzburg fahren? Dank dafür dem Agnes-Bernauer-Festspielverein.

Von Kristian Kuhnle /Straubinger Tagblatt

Info

Die nächsten Aufführungen sind am 19., 21., 22., 23., 26., 28. und 29. Juli. Karten gibt es unter anderem beim Leserservice des Straubinger Tagblatts, Telefon 09421/940-6700. Vor den Aufführungen unterhalten jeweils die Flip Flops des VSV das Publikum mit einer aufwändigen Akrobatik-Nummer im Schlosshof – zu bayerischer Musik und in Dirndl und Lederhose.

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