Ein Gastspiel als Statist im Jedermann-Ensemble und das ohne Brille
Gleich vorweg: Eine Schnapsidee war es nicht, auch wenn Mitglieder des „Jedermann“-Ensembles des Agnes-Bernauer-Festspielvereins bei einer Feier auf die Idee gekommen sind: Wie wäre es, als Redakteur mal in eine samtene Robe aus dem Festspielfundus zu schlüpfen und als Statist bei der Tischgesellschaft mitzuspielen? Brillen sind bekanntlich bei Festspielaufführungen wegen der Authentizität nicht erlaubt, auch nicht beim „Jedermann“. Ein schlagkräftiger Hinderungsgrund, denn ich bin ohne Brille (sieben Dioptrien) blind wie ein Maulwurf. Der Einwand galt nicht. Ensemble-Mitglied Petra Peschke versprach, mit Verlaub als „Blindenführhund“ an meiner Seite zu sein. Alle Vorbehalte ausgeräumt, noch dazu wo mir mehrere andere Akteure aufmunternd versicherten, es gehe ihnen nicht anders. Man fühlt sich wie ein Brillenträger ohne Brille und sieht auch so aus. Manche haben sich allein deswegen mit Kontaktlinsen angefreundet.
Gesagt, getan. Die Idee entwickelt Eigendynamik. Ich werde zur Anprobe in den Fundus bestellt. Ein grünes Samtkleid mit rotem Kragen und Ärmeleinfassung ist schnell als passend gefunden, dazu ein Hut, ein samtener Beutel, der wohlweislich eine tragende Rolle spielen soll, und ein paar braune Schuhe mit Lederriemchen. All das wird gegen Unterschrift in einen Kleidersack verpackt und darf nach Hause mitgenommen werden. Dort wartet die Robe auf den großen Tag für den ungeübten Kleinstdarsteller. Vorher kommt noch eine Probe an einem brütend heißen Samstagnachmittag, bei der ich in der Massenszene viele Vorbilder zur Orientierung habe. Devise: Ich mache, was die anderen um mich herum machen und folge vereinbarten Zeichen. Noch trage ich Brille.
Am Sonntag, 23. Juli, ist es soweit. Um 19.30 Uhr soll ich antreten zu meiner Premiere, in der dritten „Jedermann“-Vorstellung. Den ganzen Tag scheint er immer wieder auf, der Gedanke, noch … Stunden. Ein bisschen Herzklopfen ist schon dabei.
19.30 Uhr. Im Treppenhaus des Herzogschlosses ist die Garderobe. Die Kleider sind schnell gewechselt. Der samtene Beutel nimmt später meine Augengläser auf, als rettender Anker zwischen den beiden Statistenauftritten. Oben im Hof hören wir das Publikum eintrudeln, die Musik der Flip Flops. Um 20.30 Uhr kommen alle im Wappensaal zusammen. Letzte Instruktionen von Karl Weber, dem neuen Vorsitzenden des Festspielvereins. Alle fassen sich an den Händen und wünschen sich toi, toi, toi. Und dann geht es los. Die Brille verschwindet im Samtbeutel.
Gleich am Anfang ist mein erster Statisten-Einsatz. Petra Peschke ist an meiner Seite, hakt mich unter für den Einzug der großen bunten Gruppe über die Reitertreppe nach unten. Immerhin sehe ich die Stufen, erkenne die Akteure an der Farbe ihrer Kleidung, denn Gesichter nehme ich nur verschwommen wahr. Gott sei Dank auch keine im Publikum. Das ist fast wie wenn Kinder denken, wenn ich sie nicht sehe, sehen sie mich nicht. Aber es funktioniert. Die Masken, die die Damen in der Tischgesellschaft tragen, kommen für mich wie gerufen als Tarnkappe. Immerhin, ich bin nicht gestolpert, mache alles, was die anderen machen – stoße fröhlich mit einem Zinnbecher an, tue erstaunt und erschrocken und verblüfft und für eine Minute, als hätte ein Todeshauch mich einfrieren lassen… Wir streiten um die Münzen, die Jedermann unters Volk wirft und verschwinden über die Reitertreppe, wie wir gekommen sind. Mein Part ist erfüllt. Den größten Teil der Vorstellung verbringe ich mit dem Los aller Schauspieler, mit Warten. Im oberen Schlosshof stehen viele für ihre weiteren Einsätze parat. Wie ein präzise eingestelltes Uhrwerk. Die drei Mammon-Darsteller machen sich mit Dehnübungen warm oder gehen wie Bobfahrer ihren Part bei Trockenübungen nochmal durch. Von der Reitertreppe dringen Wortfetzen nach oben, Musik und Szenenapplaus. Und an den Wänden spielen Lichter. So erleben die 80 Akteure jede Aufführung. Sie kennen aufgrund ihrer eigenen Einsätze bisher ja nur Stückwerk, das Ganze sehen werden sie auf DVD, die gerade in Arbeit ist, wenn das Intermezzo zwischen den Festspieljahren an diesem Sonntag nach elf Vorstellungen zu Ende geht. Als großartiger Erfolg.
Mein Fazit: Ich bin nicht unangenehm aufgefallen, und das ist viel für jemand, der nie Theater spielt, sondern nur täglich Theater hat. Und der Applaus, auf den sich im oberen Hof nach eindreiviertel Stunden alle wirklich freuen, prasselt auch auf mich ein, ein ganz klein bisschen. Uneingeschränkter Applaus – eine seltene Redakteurserfahrung. Es hat Freude gemacht, für eindreiviertel Stunden ein Rädchen im Getriebe der Festspielfamilie zu sein. Es gibt schon schelmische Zungen: Wie wäre es in zwei Jahren mit der Bade-Szene? – Nur wohin bei der spärlichen Bekleidung mit der Brille?
Von M. Schneider-Stranninger – Straubinger Tagblatt
Info
Die drei restlichen Vorstellungen des „Bayerischen Jedermann“ am heutigen Freitag, Samstag und Sonntag sind bereits ausverkauft. Mit etwas Glück sind einzelne Restkarten noch jeweils ab 19 Uhr an der Abendkasse verfügbar.