Höllisch schöne Kleider

Mittwoch, 29. Mai 2019

Höllisch schöne Kleider

Maßgeschneiderte Kostüme für Agnes und Adel von Nina Schmickler-Reibold

Maßgeschneidert! Das Wort zaubert Frauen ein Lächeln ins Gesicht. Heuer sind aber vor allem die Männer dran. Die schauen erst skeptisch und dann ganz stolz, man wird ja nicht jeden Tag mit Samt und Gold zum Herzog oder Ritter aufgewandet. Farben und Schnitte ändern sich bei der Mode andauernd, aber anscheinend bleibt Grundlegendes gleich. Bei den Damen wird eng geschneidert, figurbetont, bei den Herren darf es gemütlich sein. „Was Weites und ein Gürtel drumherum. Das Dirndl hat sich aus der Renaissance-Mode entwickelt“, erklärt Diplom-Mode-Designerin Nina Schmickler-Reibold. 40 Stunden oder länger schneidert sie an einem Gewand für Agnes-Bernauer-Darsteller, die jetzt anprobiert wurden, um Details und Sitz zu optimieren.

Bereits zum vierten Mal stattet Nina Schmickler-Reibold den Agnes-Bernauer-Festspielverein mit möglichst exakten historischen Kostümen aus. Routine komme dabei nicht auf, „es ist immer wieder etwas Neues“. Im Gegenteil, die Herausforderung steige seit 2007 immer weiter an, weil die neuen Gewänder ja anders werden sollen, als die, die sich bereits im Bernauer-Fundus befinden. Gleichzeitig muss alles in die Zeit passen. Und dafür muss man ausgiebig recherchieren. Burda-Schnittmusterhefte aus dem Mittelalter gibt es nicht, dafür historische Gemälde, Buchmalerei und manchmal farbige Kirchenfenster, die die Mode aus der Bernauerzeit wiedergeben. „Statuen sind am besten“, erklärt die Mode-Designerin, „denn die sind dreidimensional.“

Topmodisch, aber mit viel Fummelei

Sie macht ihren Kunden, wie dem Festspielverein, historisch genaue Vorschläge. Gleichzeitig, und hier kommt die Einschränkung, müssen die Kleider bühnentauglich sein. Die Ritter müssen fechten, die Edeldamen dramatisch hinfallen können. Außerdem hat man beim Szenenwechsel nicht so viel Zeit, sich umzuziehen wie eine Gräfin, die für die Morgentoilette eine Stunde und drei Zofen zur Verfügung hatte.

Stretch oder Ähnliches aus dem modernen Kleiderschrank kommen aber nicht zum Einsatz, „zum Teil sind es nachgewebte Stoffe, nach alten Mustern, die extra gemacht werden“. Auch irgendwelche klimaregelnde Stoffe unter dem Gewand gibt es nicht. „Für den Schweiß gibt es das Hemd, das wäscht man, das darüber lieber nicht“, erklärt die Spezialistin für Mittelalter- und Renaissance-Kostüme. Kleine Zugeständnisse gibt es. Mittelalter-Ärmel sind oft nicht am Hemdkörper angenäht, sondern angenestelt, sprich angebunden. Topmodisch damals. Aber das ist eine Fummelei, die zum Beispiel Herzog Albrecht schon zum Rasen brachte (den heutigen, nicht den originalen). Daher nähte Nina Schmickler-Reibold hinter die dekorativen Schlaufen Haken und Ösen. Das funktioniert schneller und einfacher.

„Klassisch kurz“ und „dunkel böse“ im Angebot

„Mitreden kann man nur bedingt, es gibt ja historische Vorlagen. Da muss man Schnitte und Vorlage beachten“, erklärt Herzog Ernst, auch als Franz Aichinger bekannt. Vor Wochen gab es Vorbesprechungen, damit jeder weiß, was er bekommt, und die Farben wurden festgelegt. Rot? Grün? Oder Blau? Auf der Bühne sollen ja nicht lauter gleiche Farbtöne vorherrschen, damit das Bild des Adels opulent wird. Herzog Ernst wird eher dunkel und gedeckt, das passt zum Stand und auch zur „bösen Rolle“. „Der Herzog Albrecht wird in Rot eher jugendlich und keck gekleidet. Mein Blau-Schwarz geht mehr in die ältere Richtung und passt auch besser zum Charakter“, erklärt Herzog Ernst, der privat „wahnsinnig gern zum Kleider-Shoppen geht“, wie er augenzwinkernd erklärt. Er hat sich von der Schneidermeisterin „eng anliegend“ gewünscht. Zum einen als Motivation, sein Gewicht zu halten, zum anderen, weil man dann auf der Bühne besser agieren kann.

Hofmeister Jan von Sedlitz, alias Stefan Füchsl, schlüpft gerade in sein rot-goldenes Gewand. Das hat viel, sehr viel Stoff an den Ärmeln, die er ausgiebig begutachtet, dafür wenig hüftabwärts. Der beste Freund des Herzogsohns trägt als Wingmann des Mittelalters „klassisch kurz“, mit Strumpfhose. „Erst im Alter sind die Gewänder lang geworden“, erklärt er. Strumpfhosen trägt er „im Alltag eher nicht“, wie er lächelnd erklärt, nur alle vier Jahre zu den Festspielen schlüpft er in diese eng anliegenden Beinlinge.

„Ganz cool“ ist es, etwas Maßgeschneidertes zu bekommen. Das ist schon etwas anderes, als wenn man sich eine Jeans kauft. Seinen „edlen Traum in Rotgold und Braun“ wird Füchsl „voller Stolz auf der Bühne tragen“, so wie es sich für einen jungen Ritter geziemt. Wolfgang Warmdt, der sich gerade mit seinem grünen mit Goldfäden durchwirkten Obergewand in Pfalzgraf Johann verwandelt, kann da nur zustimmen: „Es ist schon wirklich etwas Besonderes, wenn ein Gewand auf deinen Körper maßgeschneidert wird.“ Für ihn eine Premiere, so etwas hat er bisher nur im Fernsehen gesehen.

„Wahrscheinlich werde ich Hilfe brauchen“

Pflichtgemäß hält er ganz still, als sein Saum mit Kreide bestäubt wird, damit die Schneiderin die Kante exakt abschneiden und vernähen kann. „Absolut gut“, gefällt ihm als Naturmensch seine Farbe. Moosgrün wird der Pfalzgraf daherschreiten. Ausprobieren muss er noch „wie schnell man hineinkommt“ in die gräfliche Ausstattung: „Wahrscheinlich werde ich Hilfe brauchen“, resümiert Warmdt, der sonst nie gezielt zum Klamottenkauf geht.

Pfalzgräfin Beatrix – Ramona Treintl – denkt da anders. Beim vergangenen Festspiel hat die Schauspielerin für ihre Rolle als Margarete von Kleve bereits ein maßgeschneidertes Kleid „von der Nina bekommen“, und weiß daher, wie das ist, bei der Anprobe mit einem halbfertigen Gewand dazustehen. Und das ist „viel besser als normales Shoppen“, erklärt sie und fügt bezaubernd lächelnd hinzu: „Weil es auf deine eigenen Maße zugeschnitten wird. Das ist so, als hätte man eine Personal-Shopping-Begleitung. Das ist cool“. Rot, die Farbe ihres Kleides, gefällt ihr sehr gut. Dieselbe Farbe, sogar der Ton passt, hat der Pulli, den sie heute trägt. Als Profi schätzt Ramona Treintl es, dass sie nur ein Kleid im neuen Stück trägt. Weil das hektisch werden kann, wenn man sich während der Aufführung umziehen muss. Das Rennen in die Garderobe zwischen den Szenen kann sie sich daher heuer ersparen.

Ein traumhaftes Kleid, mit dem sie in die Hölle kommt

Aktuell gefällt Nina Schmickler-Reibold der Sedlitz am besten, „weil der so schöne Ärmel hat“. Das Grüne (sprich der Pfalzgraf) ist aber auch sehr schön und der Albrecht ist „natürlich prächtig“. Lauter Männer-Gewänder unter den Top 3, „weil dieses Jahr hauptsächlich die Männer neu eingekleidet werden“. Das Traumkleid von Gewandmeisterin Nina Schmickler-Reibold ist aber das der Agnes Bernauer, das sie als Herzogin trägt. Das wurde zwar schon vor einer Spielsaison angefertigt, aber steht auch der jetzigen Agnes sehr gut.

Der weiße Traum ist ein „Höllen-Fenster-Kleid“. So wurde es im Mittelalter genannt. Der Grund dafür: An den Seiten ist es geschlitzt, man sieht das enge Untergewand und damit die Figur der Frau. Also eigentlich sieht man nichts, gar nichts nach heutigen Vorstellungen. Aber die Kirche sah das im Mittelalter anders, nannte den Schnitt „Höllen-Fenster-Kleid“, weil die Trägerin damit sicher in die Hölle kam, und vor allem nicht in die Kirche. In Gotteshäusern war das Kleid strikt verboten, „Weil man sonst auf falsche Gedanken kam!“

Quelle: Straubinger Tagblatt vom 29.05.19 – von Ulli Scharrer

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