Die echte und die gespielte Wache sowie Henkernachwuchs und erfülltes Liebesglück
Zuckersüß und aufgeweckt – goschert und lebensfroh – altgedient und augenzwinkernd – cool und spielfreudig – die Charaktere und das Alter der Agnes-Bernauer-Festspiel-Darsteller ist so bunt gemischt wie die Szenen auf der Bühne. Wir haben vier davon befragt, den Ältesten, die Jüngste, eine die etwas länger dabei ist und einen, der zum ersten Mal dabei ist.
Bei ihm müssen Ritter zahlen
Er spielt nicht nur die Torwache, er ist wirklich eine. Einen Spieß oder einen ruppigen Ton, wie seine Kameraden auf der Bühne, braucht er dazu nicht. Der 83-Jährige ist der älteste Aktive bei den Festspielen. Bruno Aumer ist seit 1964 beim Agnes Bernauer Festspielverein dabei. „Dazugekommen bin ich über den Volkschor, weil der damals in seiner Gesamtheit das Volk gespielt hat.“ Und er erinnert sich: „Außer hoch Agnes und Hoch Albrecht haben wir nichts sagen dürfen.“ Das war im ersten Bild, danach „machten wir draußen Lagerleben, das war das Allerschönste“, erinnert sich Bruno Aumer. Da sind dann auch die Ritter dazugestoßen, „aber die haben zahlen müssen, wenn sie was von uns wollten“, fügt er grinsend hinzu. „Sonst haben sich ja Ritter und Bürger nicht mit dem Volk abgegeben, das war eine besondere Rass“, erklärt er schelmisch die damaligen Festspiele. Beim Lagerleben hat man sich dann angeglichen. Später war er Fuhrmann oder Marktmann und vor acht Jahren spielte er einen Bader: „Meine bisher größte Rolle, die hat mich sehr erfüllt“. Vor vier Jahren musste er pausieren, um seine Frau pflegen zu können. Als Witwer und nach einem Schlaganfall entschloss er sich zum Wächterjob vor der Garderobe. Dabei sein, ein netter Ratsch bei einer halben Bier und jung bleiben, weil man unter jungen und alten Freunden ist, das ist ihm wichtig: „Jedes Mitglied ist einfach gut aufgenommen, das war früher so und ist auch heute noch so.“
Sie schockiert ihren Mann, aber nicht mit Liebeszene
„Vom Adel bis zum Volk war schon alles dabei“, erklärt Bettina Hausladen ihre Rolleneinsätze. Das Volk mache aber immer am meisten Spaß – „das Spritzige, Frische, Freie und nicht das aufgesetzte Hochnaserte“. Sie ist seit der 2005 gespielten Orffschen Bernauerin dabei. „Letztes Mal war ich Köchin und Marktfrau. Eine Köchin gibt es ja nicht mehr. Also bin ich Wirtin und Marktfrau. Das ist schon eine größere Rolle geworden. Wir, der Wirt und ich, haben ja eine zentrale Schlussrolle. Wenn wir gemeinsam abgehen, quasi als Liebespaar, zeigen wir, wenn man standesgemäß heiratet, dann passt das auch.“ Die Szene ist auch ihre Lieblingsszene. „Am Schluss, wenn die Wirtin zur Ruhe kommt, da kann auch ich mal meine milde Seite zeigen, sonst bin ich ja die absolute Gegnerin von Albrecht und Agnes. Eine eindrucksvolle Szene am Schluss.“ Aber im Gedächtnis wird allen Zuschauern ihre Beinahe-Erdrosslung bleiben. Wenn der Henker dem Volk an ihrem Hals demonstriert, welche Tötungsarten er so im Angebot hat. Im ersten Moment war ihr Mann „sehr schockiert“, als er sah, wie der Henker sie würgte. „Aber das ist alles einstudiert. Die Drehung mach ich selber, der Henker nur den Griff“, erklärt sie. Ein bisschen gefallen muss dir das schon, erklärt Bettina Hausladen augenzwinkernd. Toll findet sie die Gemeinschaft, „es kommen immer wieder Neue dazu, die werden alle gut aufgenommen. Wir sind eine große Familie“. Stress ist es aber schon. Man sagt daheim bei der Familie, dass man vom 1. Mai bis 31. Juli keine Zeit für Urlaub oder Ausflüge hat. Wie viel Bettina Hausladen in der lautstarken resoluten Wirtin steckt? „100 Prozent!“ ist die von schallendem Lachen begleitet Antwort.
Er hält den wütenden Mob (kurz) draußen vor der Burg
Korbinian Borer war „schon immer vom Mittelalter fasziniert. Eine Freundin nahm ihn einfach mal mit zum Festspielverein. Da hat sich der 14-Jährige für eine Sprechrolle beworben, ein kleine sollte es zum Anfang werden. Auf die ist er jetzt schon ein bisschen stolz. „Ich spiel die dritte Torwache, einen Knappen und einen Bediensteten am Hof.“ Am meisten mag er die Torwache, weil er da seinen Text hat. Das Volk drückt rein in die Burg, um den Raubritter zu lynchen, Korbinian muss mit seinen Kameraden den erzürnten Mob aufhalten, obwohl er mit diesem stark sympathisiert. „Die achten schon darauf, dass sie nicht zu fest drücken, aber ich muss schon arbeiten“, erklärt er seinen Job als Torwache. Theatererfahrung hatte er vorher nicht. Gewusst hat Korbinian schon, dass „es Arbeit wird“, allerdings den Umfang hätte er sich anders vorgestellt. Er ging nur von einer kleinen Rolle aus, jetzt spielt er drei und genießt es: „Weil, wenn es mal läuft, dann läuft es! Und das macht richtig Spaß.“ Zwischen den Szenen muss er manchmal hinter der Bühne laufen, um sich schnell mit neuem Hut und Ausrüstung zu kleiden und von der anderen Seite auf die Bühne zu treten. Das hat der Schüler des Ludwigsgymnasium aber voll im Griff. Und die Leute im Festspielverein sind so nett, dass er in vier Jahren auf alle Fälle wieder dabei sein will. Da konnte er sich vorstellen, mehr Text zu übernehmen – „vielleicht irgendwas im Umfeld des Albrecht“.
Sie hat Beatrix als Vorbild und die Bühne liebt sie
Sie legt sich schon mal mit dem Regisseur an, hat ihren eigenen Kopf, stöbert gern überall herum, aber stört nicht und ist disziplinierter als manch andere, die zehn Köpfe größer sind als sie. Rebekka ist drei Jahre alt und liebt die Bühne. Sie will aber einmal nicht die Agnes werden, sondern lieber Henker und am besten noch gleichzeitig Beatrix sein. Ihr Bruder Samuel meint zwar „Henker ist nur etwas für Jungs“, aber das wird entschieden ignoriert. Der Henker, Gerd Lex, und Fundusleiterin Astrid Hiergeist, haben ihr extra eine Henkersmaske organisiert, die muss jetzt immer dabei sein. Ihre ältere Schwester Sarah (zehn Jahre, Page und Kind im Volk) wollte schon vor vier Jahren mitspielen. Als sich dann auch Bruder Samuel (Sohn von Anna Winzerer) entschloss mitzuspielen, wollte Rebekka auch. Mama und Papa erfüllten den Wunsch. Alle drei Kinder haben viele Freunde gefunden. Als bei den Proben Andreas Wiedermann eine Szene wiederholen ließ, obwohl jetzt ihre dran gewesen wäre, hat Rebekka dem Regisseur gesagt: „Ich will jetzt auf die Bühne!“ Familie Wesselmann hat die Sache im Griff. Rebekka schläft vor, und an Tagen nach Aufführungen „hab ich im Kindergarten frei“, erklärt sie. Während Mama Diana als Souffleuse dem ganzen Ensemble Rückhalt gibt, macht das Papa Andreas für die Kinder im Backstagebereich: „Wir haben noch immer eine Lösung gefunden.“ Die große Schwester und andere Schauspieler passen auf Rebekka auf der Bühne auf und eine richtig große Schwester ist Ramona Treintl geworden. Die Beatrix der Aufführungen hat ganz am Anfang den Kindern erklären müssen, dass sie nur böse spielt. Das haben die sich erst einmal angeschaut und sind jetzt begeistert, dass die Beatrix an Haaren ziehen und spucken darf – Rebekkas-Lieblingsszene. Die Beatrix haben die kleinen Festspieler voll in ihr Herz geschlossen – und umgekehrt auch. Ramona hat Rebekka sogar, „trotz miserabler Nähkünste“, ein Glücksschwein als Erinnerung an ihren ersten Bühnenauftritt genäht.