Vom Geschenk, das Publikum zu berühren

Freitag, 12. Juli 2019

Vom Geschenk, das Publikum zu berühren

Martina Chavez-Weiß spielt „Magda“, eine neue Rolle bei den Agnes-Bernauer-Festspielen

Festspielerfahrung? Hat Martina Chavez-Weiß jede Menge. Sie hat schon als Sechsjährige mitgespielt, als Bauernmädchen, dann als Page. Später als adlige Dame, beim „Jedermann“ 2017 als Mammon und in der Orffschen Bernauerin als Bademagd und Frau in der Schenke. Zugeschaut hat sie beim Festspiel von Kindesbeinen an – allerdings aus ungewöhnlicher Warte, nämlich vom Fenster ihrer Großmutter, die damals wie viele andere kleine Leute im Herzogschloss gewohnt hat, von dem im Volksmund seinerzeit nur als der „Schlosskaserne“ die Rede war. Sie denkt sehr gerne daran zurück.

Heuer, bei ihrer neunten Festspielteilnahme, hat ihr die Regie eine Rolle zugedacht, die es bisher nicht gab. Aus Martina Chavez-Weiß’ Sicht ein Vorteil, denn sie musste niemandes Fußstapfen ausfüllen und hatte auch kein Vorbild vor Augen, vor dem sie womöglich lähmenden Respekt gehabt hätte. Sie konnte einfach – was allerdings alles andere als einfach ist – umsetzen, was ihr Bauchgefühl signalisiert hat. Sie spielt Magda, eine Frau mit spastischer Behinderung und eingeschränktem Sprachvermögen, eine Gefährtin der Agnes Bernauer aus der Augsburger Badstube. Sie begleitet sie hochemotional in Freud und Leid bis zum bitteren Ende.

Nie mit dieser Rolle gerechnet

Nie, sagt Martina Chavez-Weiß, hätte sie mit dieser Rolle gerechnet. Beworben hatte sie sich um eine kleine bis größere Rolle oder etwas in der Statisterie („Ich habe einfach mal alles angekreuzt“). Hauptsache dabeisein. Es ist eine große Rolle geworden, obwohl sie nur ganz wenig Text hat. Sie war zum Casting eingeladen worden für jene Rolle der Magda. Aber das war auch bei vier, fünf Vereinskolleginnen der Fall.

Wie bereitet man sich auf so etwas vor? Martina Chavez-Weiß hat sich daheim vor den Spiegel gestellt, eine Hand nach innen gezogen, schleifenden Gang geübt. Entscheidend war für sie dabei, ob sie diese Haltung eine Aufführung lang mit vertretbarem Kraftaufwand durchhalten kann. „Alles andere wollte ich einfach aus dem Bauch heraus machen“, sagt sie. Genauso hat sie es dann auch gemacht. Ihre Vereinskollegen Rupert Kohlhäufl und Claudia Griessl hat sie beim Casting kurzerhand zu ihrem Gegenüber gemacht, „weil man sich dann leichter tut“.

Sie hat eine ganz eigene Sprache gefunden, ausdrucksstarke Gestik und anrührende Mimik in einer Intensität, die das Publikum jedes Mal in Bann zieht. Ihr Spiel hat Regisseur Andreas Wiedermann überzeugt, den Vereinsvorstand nicht minder. Regieanweisungen hat sie „nicht viele“ bekommen. „Ich habe einfach gemacht, wie ich meinte.“ Und im Lauf der Proben-Zeit hat sie sich zusätzlich freigespielt. Manchmal baut sie etwas ein, der Situation geschuldet, zum Beispiel war mal ihr Schuhband offen. „Das kann ich mir natürlich nicht binden auf der Bühne und muss deshalb um Hilfe deuten.“

Einfach auf das Bauchgefühl verlassen

Das Publikum spendet ihr regelmäßig Szenenapplaus und einen Extra-Applaus am Schluss. Am meisten ehrt und freut sie, dass sie schon mehrfach angesprochen wurde, weil Zuschauer tatsächlich Zweifel hatten, ob sie nicht tatsächlich eine Behinderung hat. Aus Prinzip hält sie die Illusion aufrecht und bleibt in ihrer Rolle, bis sie hinter den Kulissen oder der Tribüne verschwunden ist.

Eine Frau hat sie gefragt, wer sie gelehrt habe, so täuschend echt zu spielen. Sie könne das beurteilen, denn ihre Tochter habe genau dieses Handicap. „Ich habe die Rolle verinnerlicht“, sagt Martina Chavez-Weiß ganz schnörkellos und gibt zu, dass ihr manchmal die Tränen kommen, wenn die tote Agnes auf die Bühne getragen wird. „Ich blende da alles andere aus.“ Und sie schaue auch nicht auf die Tribüne. Sie empfindet es als Geschenk, wenn ihr gelingt, das Publikum zu berühren.

Ein Kind im Ensemble: „Gute Nacht, Magda!“

„Zwischendurch entspanne ich meine Hand.“ Es kommt ihr zugute, dass sie Schauspielerfahrung hat, auch von der Crazy Musical Company und Andreas Wiedermanns Shakespeare-Trilogie. „Aber eine große Rolle hatte ich früher nie.“ Ihr Faible für Tanz tut das Übrige für ihr ausgeprägtes Körpergefühl. Martina Chavez-Weiß hat eine Zeit lang turnierreif Rock ’n’ Roll getanzt.

Und streift man die Rolle der Magda nach der Vorstellung so einfach ab? Es gelinge ihr relativ gut, sagt sie. Wie stark der Effekt der Rolle allerdings ist, zeigt ihr ein Erlebnis mit einem Kind aus dem Ensemble, das einmal nach der Vorstellung ganz selbstverständlich zu ihr sagte, „Gute Nacht, Magda“.

Im richtigen Leben ist Martina Chavez-Weiß, die väterlicherseits texanische Wurzeln hat, Einzelhandelskauffrau. Ihre Profession hat sie im ehemaligen Kaufhaus Paul erlernt. Seit 28 Jahren ist die Ehefrau und Mutter einer 20-jährigen Tochter im Drogeriemarkt Müller als stellvertretende Filialleitung beschäftigt. In ihrer Jugend hat sie viele deutsche Städte kennengelernt, denn ihr Vater, ein US-Soldat, wurde mehrfach versetzt. Ein Jahr lebte sie als Kind in den USA, in Oklahoma City. Aber dann ist die Familie wieder in der Heimat der inzwischen verstorbenen Mutter vor Anker gegangen. Ihr Vater lebt noch heute in Straubing. Ihre Familie wird erst noch im Publikum sitzen, sagt Martina Chavez-Weiß. Aber mächtig stolz auf sie sind alle schon jetzt.

Quelle: Straubinger TAgblatt vom 12.07.19, Monika Schneider-Stranninger

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