
Keine Gnade für die Agnes, denn es muss blitzschnell gehen, damit die Bernauerin aussieht, als sei sie gerade tot aus der Donau geborgen worden.
Am liebsten hätte man ihr einen Schrittzähler verpasst, der aber nicht zum Kleid oder Büßerkittel gepasst hätte. Kristina Kohlhäufl hatte als Agnes nämlich viele Wegstrecken zu meistern – die kürzesten auf der Bühne, die längsten hinter und neben den Brettern, auf denen man im Rampenlicht steht, und um das Herzogschloss herum. Wahrscheinlich rund zwei Kilometer Wegstrecke hat sie bei jeder Vorführung zurückgelegt, um an alle Aufgänge der Bühne und alle „Umzieh-Plätze“ zu kommen. Sieben Mal wechselt die Bademagd Agnes ihre Gewänder, um zur gefeierten Dukessa und dann zur verurteilten Bernauerin zu werden.
Heute enden die erfolgreichen Agnes-Bernauer-Festspiele 2019. Die Mitspieler sprechen schon seit Tagen vom berühmten lachenden und weinenden Auge. Froh sind sie, dass es vorbei ist, und der Alltag und das Familienleben wieder entspannter laufen. Traurig sind sie, weil die Aufführungen zu Ende sind, in denen sie wieder zu einem starken Team zusammengewachsen sind.
Die schauspielerischen Leistungen aller – von den Hauptrollen bis zum Statisten – haben das Stück getragen. Unterstützt von Ton, Licht und Effekten. Zwei davon stechen besonders heraus. Agnes hat einen Albtraum. Herzog Ernst will sie und will sie vernichten. Das spielt Franz Aichinger als bleicher Herzog Ernst zum Fürchten gut. Unterstützt wird er dabei aber von einem eindrucksvollen Effekt. Er hat die Flügel eines Todesengels. Die Bernauer-Variante ist die mit Clou, mit ausklappbaren Schwingen. Ein gruseliger und beeindruckender Effekt in der düsteren und erotischen Szene. Benjamin Engl hat als engagierter Bühnenbauer die Schwingen selbst nach Internetrecherchen konstruiert und gebaut.
Ein Aluminium-Gestell, das man wie einen Rucksack aufsetzt, ist die Grundstruktur. Linearmotoren lassen die Schwingen sich ausbreiten und dazu kommen „ganz viele große Federn“. Zwei Lagen Stoff und Spezialkleber und ewig lange Arbeit bis spät in die Nacht waren dazu notwendig.
Die Schwingen des Todesengels sind schwer
„Die Schwingen haben schon ein Gewicht“, berichtet Herzog-Ernst-Darsteller Franz Aichinger. Besonders aufpassen muss er, wenn er die „Traum-Agnes“, Theresa Beringer, vom Boden aufheben muss. Da heißt es, das Gleichgewicht zu wahren, wenn man eine fast fünf Meter- Spannweite, die rund 25 Kilo wiegt, am Rücken trägt.
Und dann ist da noch die Sache mit der Wasserleiche. Ihren Henkersknechten, die sie in die Donau werfen, und den Rittern, die sie auffangen, vertraut Kristina Kohlhäufl schon längst blind. Auch wenn man sich immer wieder neu darauf einlassen muss, „runtergeschmissen zu werden“. Der Adrenalinkick vom Spielen, hilft ihr dabei.
Unten angekommen, wird blitzschnell das Büßergewand gerafft, damit der Techniker das Mikro entfernen kann und dann kommt die Wasserflut. Bezeichnenderweise steht Beatrix mit ihrer Zofe und einem Ritter mit fünf Eimern Wasser bereit.
Auf ein schnelles Zeichen legen sie los. Gnadenlos wird geschüttet, bis Kristina und ihr Kittel wirklich von oben bis unten gewässert sind. Die Henkersknechte warten schon.
Blitzschnell muss es nach dem Tod gehen
Das ist etwas anderes, als unter der Dusche zu stehen. Vor allem die Eimer über den Kopf sind jedes Mal eine Überraschung, auch wenn sie weiß, dass jetzt gleich ein kalter Schwall Wasser kommt, berichtet Agnes. Bei heißen Temperaturen ist das nicht schlimm, aber kalte Tage gab es auch. Vater Rupert Kohlhäufl, der eigentlich als fieser Raubritter „gegen die Agnes ist“, wird da zum lieben Papa, der für jeden Eimer eine Thermoskanne heißes Wasser bereit hat, damit es nicht zu kalt wird.
Kaum ist sie leblos von der Bühne abgetragen worden, erwacht die Agnes blitzschnell zum Leben, rennt los, während sie sich den Kittel über den Kopf zieht, und wird schon von vielen Frauen im Schmink-Raum erwartet. Die halten schwarze Tücher hoch, damit sie ungestört aus dem Bikini kommt. Eine föhnt ihr die Haare, zwei helfen ihr ins Schlussapplaus-Kleid, eine in die Schuhe, zwei binden das Kleid zu. Die nasse Agnes bekommt auch noch ein schnelles Make-up. Eine eingespielte Mannschaft, für die Kristina Kohlhäufl nur Lob hat.
Das alles – Proben, Aufführungen, Water-Challenge – hat Kristina Kohlhäufl gern in Kauf genommen: „Die Agnes spielst du ja nur einmal in deinem Leben.“